Gruppensupervision für LehrerInnen

Ein Beispiel aus der Supervisionspraxis: Gruppensupervision für LehrerInnen

Ina Kaufmann Fr. B., eine Supervisandin in einer Gruppensupervision für LehrerInnen, berich­tet in einer der Sitzungen von star­ker Disziplinlosigkeit eini­ger SchülerInnen in ihrer Klasse. Sie unter­rich­tet Mathematik und Musik an einer Grundschule in einem der „Brennpunkte“ Berlins. Der Ausländeranteil in die­ser Grundschule in Neukölln beträgt über 90 %. Dazu kom­men vie­le ver­hal­tens­auf­fäl­li­ge Kinder aus sozi­al schwa­chen Familien. Immer häu­fi­ger, so erzählt sie wei­ter, ver­lie­re sie die Kontrolle über den Unterricht in der 5. Klasse. Sie sei über­wie­gend mit der Behebung von Störungen beschäf­tigt, die immer wie­der von bestimm­ten Kindern aus­gin­gen. Es daue­re fast die gan­ze Unterrichtsstunde, um eine Arbeitsatmosphäre zu schaf­fen, die es ihr erlau­be, ihren geplan­ten Unterricht durch­zu­füh­ren. Die Probleme sei­en inzwi­schen so stark ange­wach­sen, dass sie psy­chisch sehr ange­spannt sei und an ihren Fähigkeiten als Lehrerin zwei­feln wür­de. Der Beruf, der ihr am Anfang viel Spaß gemacht habe, berei­te ihr inzwi­schen nur noch Kopf- oder Bauchschmerzen und sie füh­le sich akut über­for­dert. Im Kollegium traue sie sich nicht, sich zu öff­nen, im Freundeskreis fin­de sie nicht das rich­ti­ge Verständnis und irgend­wie wis­se sie jetzt nicht mehr weiter. 

In der Supervisionssitzung arbei­te ich mit einer Methode aus dem Psychodrama, dem Rollenspiel, d.h. ich beset­ze alle wich­ti­gen Rollen der SchülerInnen mit den anwe­sen­den Personen in der Klasse, um die­se Situation „nach­zu­spie­len“. Fr. B. über­nimmt die Rolle einer Schülerin, die den Unterricht stö­ren wird. Die Rolle der Lehrerin beset­ze ich mit einer ande­ren Supervisandin, Fr. A.. Nach einer gründ­li­chen Rolleinweisung aller Personen wird die Anfangsszene im Unterricht ori­gi­nal­ge­treu nach­ge­spielt: Die Lehrerin (Fr. A.) kommt nach der Pause in die Klasse, in der eine star­ke Unruhe herrscht. Sie ver­sucht den Unterricht begin­nen zu las­sen, mit mäßi­gem Erfolg. Es ent­ste­hen immer wie­der Störungen, auf die sie im Einzelnen ver­sucht ein­zu­ge­hen, ver­geb­lich. Sie selbst wird hek­tisch und unru­hig. Ihre Verzweiflung steht ihr ins Gesicht geschrie­ben. Dann wird sie laut und auto­ri­tär, auch das hilft nichts; im Gegenteil, die SchülerInnen haben offen­sicht­lich ein Vergnügen dar­an, ihre Lehrerin immer mehr zu pro­vo­zie­ren und „spu­len“ sich gegen­sei­tig hoch. Zum Schluss herrscht nur noch Chaos und die Lehrerin ist am Ende ihrer Kräfte. 

Dann unter­bre­che ich kurz das Rollenspiel und fra­ge die Lehrerin, wie es ihr gera­de gehen wür­de. Sie ist noch ganz auf­ge­regt und beschreibt ihre Gefühle der Ohnmacht ange­sichts die­ser Situation. Dann las­se ich alle MitspielerInnen, auch Fr. B., ihrer „Lehrerin“ spon­tan ein Rollenfeedback aus ihren jewei­li­gen Positionen geben. Das sieht so aus, dass die „StörerInnen“ eine gro­ße Lust dabei emp­fin­den, ihre Lehrerin aus dem Konzept und aus der Fassung zu brin­gen. Je ärger­li­cher sie wird, des­to mehr Ideen ent­wi­ckeln sie, um die­se Situation aus­zu­kos­ten. Es macht rich­tig Spaß, anstatt Unterricht das Spiel der Macht zu spie­len: „Wie brin­ge ich mei­ne Lehrerin auf die Palme?“. Die ein­zi­gen, denen das nicht gefal­len hat­te, waren die „ruhi­ge­ren“ SchülerInnen, die etwas ler­nen woll­ten und die sich dar­in gestört fühl­ten. In der wei­te­ren Auswertung wird deut­lich, dass die „SchülerInnen“ eigent­lich den Kontakt zur Lehrerin suchen und von ihr „gese­hen und wahr­ge­nom­men“ wer­den wollen. 

Mit die­sen Aussagen kann Fr. A etwas anfan­gen, denn sie fühl­te sich mit die­sen SchülerInnen, die per­ma­nent stör­ten auch nicht im Kontakt, son­dern im Gegenteil genervt. Gemeinsam erar­bei­ten die RollenspielerInnen Lösungsideen, wie sie wie­der in Kontakt kom­men könn­te, die dann im 2. Rollenspiel als eine Art „Probehandeln“ aus­pro­biert wer­den. Das Rollenspiel ver­läuft ganz anders, als das ers­te Rollenspiel: die Lehrerin kommt ruhig in die Klasse, begrüßt alle SchülerInnen freund­lich und zuge­wandt und geht ruhig und sou­ve­rän mit „Störungen“ von ein­zel­nen SchülerInnen um, indem sie auf sie zugeht und sie ein­zeln anspricht und die Probleme löst. Die Kontaktaufnahme zu den SchülerInnen funk­tio­niert, die Störungen wer­den im Keim erstickt und der Unterricht ver­läuft so, wie sie ihn geplant hat­te. Fr. A. fühlt sich zuneh­mend siche­rer und wird locke­rer im Umgang mit der Klasse. 

In der Auswertung die­ses 2. Rollenspiels, also im Rollenfeedback, äußern alle MitspielerInnen, dass ihnen die per­sön­li­che Präsenz, die Zugewandtheit und Kontaktaufnahme am Anfang, sowie der sou­ve­rä­ne Umgang mit den ein­zel­nen „Störmanövern“ gut getan hat­te. Sie fühl­ten sich „gese­hen“ und in ihren Wünschen und Bedürfnissen ernst genom­men und konn­ten die Grenzen, die die Lehrerin gesetzt hat­te, akzep­tie­ren. Das gab ihnen zusätz­lich auch Sicherheit und Orientierung, die sie brauch­ten, um im Unterricht mit­ma­chen zu können. 

In der Auswertung die­ses 2. Rollenspiels wur­den wei­te­re Lösungsideen gesam­melt, aber die wich­tigs­te Erkenntnis für Fr. B. war, dass sie selbst die­se Lust ver­spürt hat­te, zusam­men mit den ande­ren SchülerInnen den Unterricht zu ver­hin­dern und wel­ches Potential dahin­ter ste­hen wür­de. Eine wei­te­re Erkenntnis war das Feedback ihrer Mitspieler in Bezug auf ihre eige­ne Kontaktlosigkeit zu den SchülerInnen, deren Hintergründe sie in der Supervisionsgruppe the­ma­ti­sie­ren konn­te. Sie konn­te also „in den Spiegel“ schau­en und ihre eige­nen Anteile in die­sem Konflikt beleuchten.